FMS-Projektserie: So geht fair. Wie Schweizer Unternehmen Fairness und Transparenz in die Praxis umsetzen

Marinello + Co AG – “Nur Früchte und Gemüse verkaufen reicht uns nicht”

Faire Märkte Schweiz engagiert sich für faire und transparente Märkte. Was dies in der Praxis von Schweizer Unternehmen im Agrar- und Lebensmittelsektor bedeutet und welche Herausforderungen damit einhergehen können, wird in der Projektserie “So geht fair” beleuchtet. Anhand von inspirierenden Beispielen macht die Serie sichtbar, dass ein Engagement im Bereich Fairness und Transparenz nicht nur machbar, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist – und lädt dabei zum Dialog und Nachahmung ein. 

Das Unternehmen

Die Marinello + Co AG ist im Zürcher Engrosmarkt beheimatet und versorgt die Gastronomie in und um Zürich täglich mit frischen Früchten, Gemüse, Molkereiprodukten, Tiefkühlwaren und ausgewählten Spezialitäten. Das Familienunternehmen legt grossen Wert auf Qualität – sowohl in ihren Produkten, wie auch im persönlichen Service. Ihre Vision ist es, die besten Produzenten mit den besten Gastronomen zusammenzubringen und als Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Küche zu wirken. Sie verstehen sich als Vermittler zwischen zwei Welten mit ihren eigenen Herausforderungen und spezifischen Ansprüchen. Dabei fördern sie das gegenseitige Verständnis: Produzentinnen und Produzenten erhalten wertvolle Rückmeldungen vom Markt und erfahren, was gefragt ist. Gleichzeitig bringt Marinello die Gastronomie näher an die Herkunft, die Menschen und die Geschichten hinter den Produkten heran – und stärkt so die gegenseitige Wertschätzung.So entsteht eine stabile und nachhaltige Partnerschaft zwischen Feld und Teller – geprägt von Vertrauen, Qualität und Verbundenheit. 

Fairness & Transparenz im Geschäftsalltag

Vor zwei Jahren hat Marinello gemeinsam mit allen Mitarbeitenden sechs zentrale Werte definiert, die das tägliche Handeln des Unternehmens leiten: Vertrauen, Verantwortung, Qualität, Klarheit, Weiterentwicklung und Fairness. Diese Werte prägen nicht nur die interne Unternehmenskultur, sondern auch die Beziehungen zu Lieferant:innen, Partner:innen und Kund:innen.

Fairness versteht Marinello als gelebten Respekt, echte Wertschätzung und ehrliche Zusammenarbeit. „ […] Die Zusammenarbeit mit all unseren Anspruchsgruppen ist von Respekt und einer überdurchschnittlichen Wertschätzung geprägt. Wir halten uns an getätigte Abmachungen und vertreten einen hohen sozialen Anspruch. Bei der Preisgestaltung stehen für uns Korrektheit und Ehrlichkeit an erster Stelle, da wir mit unserer Kundschaft, unseren Lieferantinnen und Lieferanten immer eine nachhaltige Zusammenarbeit suchen.
Für unsere Mitarbeitenden nehmen wir uns die nötige Zeit, achten auch Gleichbehandlung, führen nie über Schuld und entlöhnen fair.“

Entsprechend spielen soziale Standards und ein fairer Umgang mit Mitarbeitenden eine zentrale Rolle bei der Auswahl ihrer Lieferant:innen.

Dabei versteht Marinello Fairness nicht als starres Prinzip, sondern als einen lebendigen Aushandlungsprozess. Denn was für die eine Seite fair erscheint, kann für die andere ein Ungleichgewicht bedeuten. So ist es Marinello beispielsweise wichtig, ihre Produzenten auch in Zeiten von Überproduktion zu unterstützen. Was aber in der Konsequenz bedeutet kann, dass von anderen Lieferant:innnen weniger Ware bezogen wird. Solche Spannungsfelder gehören zum Alltag – sie werden offen diskutiert, sorgfältig reflektiert und gemeinsam neu bewertet. Immer mit dem Ziel, tragfähige Lösungen zu finden, die mit den eigenen Werten im Einklang stehen.

Transparente, ehrliche Kommunikation ist dabei für Marinello zentral. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen – bei sich selbst und bei allen, mit denen sie zusammenarbeiten. Denn für Marinello liegt Qualität nicht nur im Produkt, sondern vor allem in den Menschen, die dahinterstehen. Und Werte haben nur dann Bestand, wenn sie im Alltag auch tatsächlich gelebt werden – auf allen Ebenen.

Ein weiterer zentraler Aspekt von Fairness – neben gelebter Transparenz – ist für Marinello die Mitsprache aller Beteiligten: der Mitarbeitenden ebenso wie der Lieferant:innen und Abnehmer:innen. Marinello pflegt nicht nur im täglichen, persönlichen Austausch eine offene Haltung gegenüber neuen Ideen und gemeinsamen Lösungen, sondern schafft auch bewusst Räume für Dialog. So organisieren sie regelmässig Austauschformate, bei denen Produzent:innen und Gastronom:innen gemeinsam an einem Tisch sitzen, um aktuelle Fragestellungen und Herausforderungen zu diskutieren.

Faire Marktbedingungen

Marinello beobachtet derzeit einen Markt im Wandel: Volumen werden vor allem wegen Firmenübernahmen zunehmend konsolidiert, wodurch die Marktmacht einzelner Akteure wächst – und diese Macht auch immer häufiger ausgespielt wird, sowohl auf Lieferanten- wie auch auf Abnehmerseite. Dies äussert sich primär in einem grösseren Preisdruck. Das entstehende Ungleichgewicht stellt beide Seiten vor grosse Herausforderungen.

Marinello versucht diesem Trend entgegenzuwirken, indem sie bewusst auch mit kleinen, lokalen Produzenten zusammenarbeiten. Denn echte Vielfalt im Markt kann nur entstehen, wenn auch die Kleinen eine Stimme haben. Gleichzeitig wünschen sie sich mehr Kooperation und Dialog innerhalb der Branche – ein Miteinander statt eines Gegeneinanders.

Doch die Realität sieht oft anders aus: Vertrauen schwindet, der Konkurrenzdruck steigt, und beim Teilen von Informationen herrscht vielfach Unsicherheit. Auf der Abnehmerseite fehlt oft das Verständnis für die tatsächlichen Kostenstrukturen der Produktion. Statt auf langfristige Partnerschaften zu setzen, werden Preise gedrückt – mit entsprechenden Folgen für die gesamte Lieferkette.

Kritisch sieht Marinello auch die Vielzahl an Labels, die den Markt zunehmend unübersichtlich machen. Ihrer Meinung nach könnte auf viele davon verzichtet werden, wenn es grundsätzlich mehr Transparenz gäbe. Nicht durch zusätzliche Zertifikate, sondern durch ehrliche, freiwillige Kommunikation. Aus ihrer Sicht ist Transparenz der Schlüssel, um Vertrauen zu schaffen, Missverständnisse zu vermeiden und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu ermöglichen.

Marinello lebt diesen Anspruch: Sie legen ihre Margenstruktur offen und kommunizieren diese transparent. Diese Offenheit wünschen sie sich auch von anderen Marktteilnehmer:innen – nicht als Pflicht, sondern als gemeinschaftliches Bekenntnis zu einem faireren Markt.

Faire Preisbildung

Marinello ist der Meinung, dass ein Preis niemals auf Kosten von anderen Gliedern in der Wertschöpfungskette funktionieren darf – er muss für alle stimmen. Um dies zu erreichen, pflegen die Einkäufer von Marinello einen engen, vertrauensvollen Austausch mit ihren Lieferant:innen und auch hier wird Wert auf Transparenz beiderseits gelegt. Lieferant:innen sollen kostendeckend produzieren können. In herausfordernden Situationen, wie beispielsweise Überproduktionen oder Ernteausfällen, werden gemeinsam Optionen geprüft und eine Lösung gesucht, die für alle tragbar ist. Das Risiko soll geteilt werden und die Priorität auf eine langfristige Partnerschaft gelegt werden. 

Herausforderungen

Eine der grössten Herausforderungen besteht für Marinello darin, den eigenen Werten treu zu bleiben – gerade dann, wenn andere Marktteilnehmer weniger fair agieren. Die Versuchung, von der eigenen Linie abzuweichen, ist in solchen Momenten durchaus spürbar. Doch wer an seinen Prinzipien festhalten will, muss sich das auch leisten können, gerade in herausfordernden Zeiten.

Fairness und Transparenz sind für Marinello keine starren Prinzipien, sondern ein stetiger Aushandlungsprozess. Sie führen zu intensiven internen Diskussionen – nicht, weil die Werte in Frage stehen, sondern weil ihre Anwendung im Alltag oft komplex ist. Nichts ist in Stein gemeisselt; entscheidend sind die Richtung, der Dialog und die Bereitschaft, sich immer wieder neu auszurichten.

Max Marinello ist Co-Geschäftsführer bei der Marinello + Co AG und für die Bereiche Einkauf, HR und Digitales verantwortlich.

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