Bund unter Zugzwang: Die «Nachhaltigkeits-Lokomotiven» ziehen nicht mehr

Bund unter Zugzwang: Die «Nachhaltigkeits-Lokomotiven» ziehen nicht mehr

Die neuesten Zahlen von Bio- und Labelbetrieben zeigen: Die Signale vom Markt sind nicht sehr positiv für die Umstellung der Landwirtschaftsbetriebe in Richtung Nachhaltigkeit. Unsicherheiten betreffend Absatz und fairen Preisen hindern viele Betriebe, auf die Bio- oder Labelproduktion umzusteigen. Ein alarmierendes Signal für die nachhaltige Ernährungspolitik des Bundes – die Nachhaltigkeitsstrategie ist offenkundig aus dem Tritt geraten.

Die Label- und Bioproduktion steht unter starkem Druck. Die IP-Suisse und Biosuisse-Betriebe haben von 18’820 (2023) auf 18’460 (2024) abgenommen, ein Rückgang von 360 Betrieben. Das zeigen die soeben publizierten Umstellungszahlen (1). Gemäss Vorgaben des Bundes in der Nachhaltigkeitsstrategie müssten diese jedoch vielmehr jährlich um 560 Betriebe zunehmen, damit der Bundesrat sein Ziel umsetzen kann (2) – ein Abweichen um 920 Betriebe.

Bund muss Ernährungssysteme nachhaltig sichern

Die 2023 gegründete Fairness- und Transparenzorganisation Faire Märkte Schweiz ruft angesichts dieser Diskrepanz nicht nur die Marktakteure auf, ihre Preispolitiken zu überarbeiten, damit die Produzenten aufwandgerecht und fair entschädigt werden. «Auch der Bund muss seine Verantwortung wahrnehmen, zum einen als Regulator der Märkte und zum andern, damit er im Interesse der Öffentlichkeit die politischen Ziele hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen umsetzen kann», sagt FMS-Präsident Stefan Flückiger.

Der Marktanteil von Bio im Detailhandel konnte zwar gehalten werden (12.3%), doch die «Nachhaltigkeits-Lokomotiven» Coop und Migros, die 75% der Labelprodukte absetzen, ziehen nicht mehr. 

Tiefpreisstrategien nehmen zu – fehlende Signale vom Markt verhindern Umstellung der Bauernbetriebe

Die Landwirtschaftsbetriebe würden umstellen, aber die Signale vom Markt sind wenig positiv für die Produzenten. Gute Argumente für die Produzenten wären ein guter Absatz und faire Preise. Die faire Preisbildung ist aber zunehmend in Gefahr, weil die Tiefpreisstrategie immer stärker um sich greift und die Produzentenpreise unter Druck kommen.

Konsumenten werden abgeschreckt

In einem Schreiben an die Bundesbehörden hatte Faire Märkte Schweiz Ende 2024 entsprechende Massnahmen gefordert. Es gibt einen unfairen Wettbewerb im Laden (FMS zeigt dies mit dem Preismonitor regelmässig auf, dass die Preisrelationen zulasten der Produzenten sind): Die überhohen Preise der Bio- und Labelprodukte im Laden kommen zum einen nicht bei den Produzenten an und schrecken viele Konsumentinnen ab, Bio- und Labelprodukte zu kaufen.

«Die Transformation des Ernährungssystems braucht klare politische Leitplanken – freiwillige Absichtserklärungen reichen nicht mehr», sagt Präsident Stefan Flückiger. 

Infobox

Haltung des Vereins Faire Märkte Schweiz

Am Ende der Wertschöpfungskette wird bestimmt, was am Anfang der Kette produziert wird und aufgrund der Marktmachtverhältnisse immer häufiger auch, wie hoch die Abgeltung der Produzenten ist. Der Detailhandel hat deshalb eine grosse Verantwortung, die er aufgrund seiner mächtigen Stellung nicht auf die Konsumentinnen und Konsumenten abschieben kann (Es ist zu einfach, dass nur das produziert wird, was im Laden nachgefragt wird). Bei den heutigen einseitigen Machtverhältnissen in der Land- und Ernährungswirtschaft sind Marktstrukturen vorhanden, die nicht nur die faire Preisbildung in Frage stellen, sondern auch den Wandel hin zu nachhaltigen Ernährungssysstemen stark bremst. 

Dringende Anpassung sind gefordert:
Zum einen ist die Nachhaltigkeitsstrategie gefährdet, sie ist nicht auf Kurs (Gemäss Abbildung 1). Freiwillige Massnahmen sind nicht wirksam und frühere Ankündigungen der relevanten Akteure betr. Nachhaltigkeit werden nicht eingehalten. Deshalb muss der Bund mit konkreten Zielvereinbarungen eine verbindliche Einigung mit dem Detailhandel darüber anstreben, wie konkret ihr Beitrag zur Transformation der Ernährungssysteme in Richtung Nachhaltigkeit ist bzw. wie diese ihre Nachhaltigkeitssortimente attraktiver gestalten und konkret ausbauen.

Zum andern hat er seinen «Marktbeobachtungsauftrag» konsequent umzusetzen und die Wettbewerbssituation im Lebensmittelmarkt im Rahmen der kommenden Reform AP30+ zu verbessern und ein wirksamer Wettbewerb durchsetzen. Der Bund muss die faire Preisbildung sicherstellen, die auch eine angemessene Verteilung der Wertschöpfung ermöglicht. Heute haben die Behörden zu wenig griffige Instrumente zum Erhalt eines wirksamen Wettbewerbs. Im Bericht zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik hält der Bundesrat selbst fest, dass die Transparenz über die Kosten der Lebensmittelproduktion und über die Verteilung der Wertschöpfung verbessert werden muss.

Zum Positionspapier Transparenz von FMS hier.

(1) https://www.ipsuisse.ch/jahresbericht-2023-24/, https://www.bio-suisse.ch/de/unser-verband/bio-suisse-portraet/bio-in-zahlen.html 

(2) Der Anteil der Landwirtschaftsbetriebe, die unter Verwendung spezifischer öffentlichrechtlicher und privater Nachhaltigkeitsprogramme besonders umwelt- und tierfreundlich produzieren, wächst im Vergleich zu 2020 um einen Drittel.

Daten

Abbildung 1, Jährliche Zunahme, Darstellung der Verhältnisse

Abbildung 2, Vergleich, Entwicklung Labelbetriebe

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