«Faire Geschäftspraktiken in der österreichischen Lebensmittelkette»

FMS lässt immer wieder einmal Stimmen und Inhalte von anderen Organisationen zu Wort kommen. Dieses Mal ist es das Fairness-Büro Österreich.

Faire Geschäftspraktiken in der österreichischen Lebensmittelkette: Der aktuelle Tätigkeitsbericht 2024 des Fairness-Büro Österreich zeigt Parallelen und Unterschiede zur Situation in der Schweiz auf

Gastautorin bei Faire Märkte Schweiz:

MMag. Dr. Doris HOLD BSc. LLB, stv. Leiterin vom Fairness Büro Österreich

Seit 2022 bietet das österreichische Fairness-Büro Bäuerinnen und Bauern sowie Lebensmittelproduzenten anonyme und kostenlose Hilfe, wenn sie von unfairen Handelspraktiken betroffen sind. 

Das Fairness-Büro ist gesetzlich beim Landwirtschaftsministerium eingerichtet und hat neben der Beratung von Beschwerden, die im Zusammenhang mit dem Verkauf von Lebensmitteln stehen, auch die Analyse und die Vermittlung zwischen kleinen Verkäufern und grösseren Käufern zur Aufgabe. 

Die Marktmacht drei grosser Handelsketten ist mit über 90% in Österreich europaweit im Spitzenfeld. Die gesetzlich normierten unfairen Handelspraktiken teilen sich dabei in die absolut verbotenen Praktiken – die sog. Schwarze Liste – die nicht vertraglich vereinbart werden können und daher absolut nicht sind. Beispiele für schwarze Praktiken: Zahlungsverzug von über 30 Tagen bei verderblichen Lebensmitteln, die einseitige Änderung der Lieferbedingung durch den Käufer, kurzfristige Stornierungen von verderblichen Lebensmitteln, uvm. 

Daneben besteht eine graue Liste, also Praktiken, die im Vorfeld explizit zwischen Lieferant und Käufer vereinbart werden müssen, um gültig zu sein. Das ist zum Beispiel die Übernahme der Kosten für Rabatte und Aktionen. 

Der Fairness-Büro-Bericht zeigt auch 2024 deutlich ein nach wie vor starkes Ungleichgewicht in der Lebensmittelkette. Die Zahl der Beschwerden ist noch weiter gestiegen: Mehr als 800 unmittelbare und mittelbare Beschwerden wurden verzeichnet. 

„Diese Zahl zeigt schwarz auf weiss, wie gross die Macht der Handelsketten gegenüber kleineren Produzenten ist. Um ein Ausnutzen von Machtpositionen zu verhindern, müssen wir kontinuierlich handeln. Denn viele Produzenten fürchten, ihren Regalplatz zu verlieren und sehen sich gezwungen unfaire Bedingungen zu akzeptieren, weil ihnen Alternativen fehlen“, betont Bundesminister Norbert Totschnig.

Seit der Gründung des Fairness-Büros im Jahr 2022 hat sich nicht nur die Zahl der Fälle erhöht, sondern auch das Wissen über unlautere Handelspraktiken. Diese Erkenntnisse werden regelmässig an die EU-Kommission weitergegeben, um das Ungleichgewicht zwischen Produzenten, Verarbeitern und der Lebensmittelketten auch auf EU-Ebene zu thematisieren. 

Zentrale Ergebnisse des Fairness-Büro-Berichts 2024

Fleischerbetriebe unter Druck:

  • Handelsketten verweigern traditionellen und familiengeführten Fleischerbetrieben trotz der steigenden Personal- und Energiekosten eine Preisanpassung für ihre Produkte.
  • In einem dokumentierten Fall erhöhte eine Handelskette den Konsumentenpreis eines Produkts um 30%, während der Produzent gleichzeitig 2% weniger erhielt.
  • Darüber hinaus nutzen Handelsketten sinkende Rohstoffpreise, um ihre Einkaufspreise weiter zu drücken, was die Existenz besonders von Klein- und Mittelbetrieben gefährdet.

No-Names und Image-Schaden für heimische Produzenten:

  • Durch gezielt hohe Preisaufschläge auf Qualitäts-Markenprodukte durch den Handel entsteht ein massiver Wettbewerbsnachteil für heimische Produzenten.
  • Gleichzeitig werden Eigenmarken – sog. No-Names, die oft in den eigenen Werken der Handelsketten hergestellt werden, künstlich günstig gehalten.
  • Konsumenten greifen daher häufiger zu den billigeren No-Names, was Qualitäts-Markenprodukte untergräbt.

Aufgezwungene Dritt-Dienstleistungen:

  • Produzenten werden von Handelsketten gezwungen, bestimmte Zahlungs- und Logistikdienstleister zu nutzen und diese zu bezahlen.
  • Die Preisgestaltung dieser Drittdienstleister sind unverhältnismässig hoch und intransparent.
  • Diese Kosten zahlen am Ende des Tages nicht nur die Lieferanten, sondern auch die Konsumenten – und das zum Vorteil des Handels.

Unfaire Alleinbelieferungsverträge:

  • Start-ups und Jungunternehmer werden durch exklusive Lieferverträge in vollständige Abhängigkeit von einer Handelskette gedrängt.
  • Sie müssen für den Handel hohe Investitionen tätigen und expandieren, um die (volatilen) Bestellmengen fristgerecht liefern zu können – ohne dass der Handel eine Abnahme garantiert.
  • Kann der Produzent die Bestellungen nicht 100% bedienen, werden hohe Vertragsstrafen fällig.

Das Fairness-Büro – ein Überblick

  • Gegründet am 1. März 2022 als unabhängige und weisungsfreie Stelle im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft.
  • Anonyme und kostenlose Beratung für alle, die beim Verkauf von Agrar- oder Lebensmittelerzeugnissen von grösseren Käufern unter Druck gesetzt werden und denen verbotene oder unlautere Handelspraktiken widerfahren.
  • Analyse von Beschwerdefällen, rechtliche Einschätzung und Unterstützung zur einvernehmlichen Lösung mit dem Käufer.

Der 3. Tätigkeitsbericht steht unter www.fairness-buero.gv.at zum Download bereit.

Doris Hold hat an internationalen Universitäten Rechtswissenschaften, Wirtschaft und Nachhaltigkeitsmanagement studiert und leitet das Fairness-Büro seit der Gründung stellvertretend. Ihr Fokus liegt in der Vermittlung zwischen kleinen Lebensmittelproduzenten und marktmächtigeren Käufern mit dem Ziel einer gütlichen und pragmatischen Einigung zur Fortführung der partnerschaftlichen Geschäftsbeziehung auf Augenhöhe.

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