FMS-Selfcheck: Bäuerinnen und Bauern zeigen auf, wo ihnen der Schuh drückt

Alarmierende Ergebnisse: Landwirtinnen und Landwirte bei Vermarktung und Preispolitik unfair behandelt

Bäuerinnen und Bauern zeigen auf, wo ihnen der Schuh drückt

Viel wird aktuell diskutiert über die Schweizer Bauern und Bäuerinnen. Doch wie schätzen diese selbst ihre Situation ein? Eine neue Erhebung zeigt alarmierende Trends im Agrarsektor auf: Laut dem FMS-Selfcheck, der Fairness in der Vermarktung und Preisbildung untersucht, fühlt sich eine deutliche Mehrheit der Landwirtinnen und Landwirte gegenüber ihren vielfach marktmächtigen Abnehmern benachteiligt, was wettbewerbsrechtliche Relevanz haben könnte.

Alarmierend waren die Ergebnisse bezüglich der fairen Verteilung der Wertschöpfung: 81 Prozent der befragten Bauern sind der Meinung, dass ihr Wertschöpfungsanteil zu klein ist, sie zu wenig vom Konsumentenfranken haben und die nachgelagerten Wertschöpfungsstufen übermässig abschöpfen. Zur Höhe der Preise und zu der aufwandgerechten Entschädigung gaben 76.9 Prozent  an, dass ihnen der Preis diktiert wird und dieser nicht kostendeckend ist. 65.4 Prozent kritisieren, dass sie den einseitigen Konditionen des Abnehmers schutzlos ausgeliefert sind, weil diese vielfach marktmächtig sind. 

Interessant waren die Aussagen bezüglich Abhängigkeit gegenüber den Abnehmern: 38.5 Prozent fühlen sich von ihren Abnehmern abhängig und sehen sich dadurch mit ausserordentlichen Risiken konfrontiert. Weil diese Sachverhalte aus wettbewerbsrechtlichen Gründen oft als problematisch eingestuft werden können, wird ihnen eine besondere Bedeutung beigemessen. Pikant auch, dass sich 9 von 10 (92 Prozent) der  Bäuerinnen und Bauern nicht nur in einem, sondern gleich in mehreren Punkten der Vermarktung und Preisbildung mit unfairen Handelspraktiken konfrontiert sehen.

Handlungsbedarf im Agrarsektor

Der Selfcheck wurde von der Fairnessorganisation Faire Märkte Schweiz (FMS) in Zusammenarbeit mit Wettbewerbsexperten entwickelt mit dem Ziel, dass Bäuerinnen und Bauern ihre Situation im Bereich Fairness in Vermarktung und Preisbildung beurteilen können. «Mit dieser Erhebung können wir nun erstmals die wettbewerbsrechtliche Relevanz der Ergebnisse einschätzen», sagt FMS-Präsident Stefan Flückiger.

FMS macht nun den Selfcheck allen Bäuerinnen und Bauern zugänglich, um ein umfassendes Bild über die Situation auf Schweizer Bauernhöfen zu erhalten. «Wir wollen diese Pilotergebnisse jetzt mit weiteren, breit abgestützten Daten anreichern», so FMS-Präsident Stefan Flückiger.

Die Ergebnisse im Detail

Insgesamt fallen folgende Situationen im Bereich Vermarktung und Preisbildung am ausgeprägtesten auf: Schlecht schneidet die Erhebung bezüglich Wettbewerb ab und ob die Minimalbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb erfüllt sind. Für 46.2 Prozent sind diese nicht erfüllt, was die Preisbildung wesentlich beeinflusst. Bezüglich der fairen Verteilung der Wertschöpfung sind 81 Prozent der Meinung, dass ihr Wertschöpfungsanteil zu klein ist, sie zu wenig vom Konsumentenfranken haben und andere übermässig abschöpfen. Zur Höhe der Preise und zu der aufwandgerechten Entschädigung gaben 76.9% an, dass ihnen der Preis diktiert wird und ausserdem zu tief und nicht kostendeckend ist (s.o.).

Ebenfalls eindeutig sind die Aussagen betreffend Mitbestimmung und Fairness beim Verhandeln. 65.4 Prozent kritisieren, dass sie bei der Preisbildung nicht mitbestimmen können und deshalb den einseitigen Konditionen des Abnehmers schutzlos ausgeliefert sind (7.7 Prozent fühlen sich dem Abnehmer ebenfalls ausgeliefert, können aber damit leben). Insgesamt gaben 40 Prozent an, dass das einseitige Ändern der Liefervereinbarung bei ihnen schon zu grösseren Problemen geführt hat.

Überraschende Ergebnisse zu den Branchenorganisationen – Zufriedenheit bei Warenbereitstellung, Kommissionierung und weiteren Punkten

Interessant war die Aussage bezüglich Abhängigkeit gegenüber den Abnehmern: 38.5 Prozent fühlen sich von ihren Abnehmern aus diversen Gründen abhängig und ausgeliefert (34.6 Prozent fühlen sich abhängig, können sich aber damit abfinden). Die Ergebnisse betreffend der Branchenorganisationen waren für die Experten überraschend: Für 69.2 Prozent der Antwortenden funktionieren die Branchenorganisation nicht gut. Sie fühlen sich benachteiligt, weil darin die Produzenten ihre Interessen selten durchsetzen können (19.2 Prozent geben an, die Branchenorganisation funktionierten für sie gut und zufriedenstellend). Hinsichtlich Warenbereitstellung, Kommissionierung und kurzfristigen Stornierungen oder der korrekten Bezahlung betreffend Abmachung äusserten sich über 66% der Antwortenden grundsätzlich zufrieden.

Details zur Erhebungs-Anlage

Die Ergebnisse der ersten Auswertung stammen von einzelnen Pilotgruppen mit einem Total von knapp 30 Teilnehmenden. Die meisten stammen aus der Milchproduktion (61.5 Prozent), weitere sind Eier- und Getreideproduzenten. 

Folgende Kategorien stehen bei der Erhebung zur Auswahl: 

  • Wenn die Teilnehmenden  mit der Situation grundsätzlich zufrieden sind und sich gegenüber einem Abnehmer nicht abhängig fühlen, dann wird die Situation als positiv beurteilt. Diese Antworten haben wir nicht in der Auswertung erfasst. 
  • Wenn die Teilnehmenden der Meinung sind, dass der Wettbewerb eingeschränkt ist, sie sich abhängig oder unfair behandelt fühlen, aber aus diversen Gründen damit abfinden können (z.B. weil nicht unmittelbar existenzbedrohend), dann werden die Sachverhalte als suboptimal beurteilt und als Hinweis aufgeführt.
  • Wenn sich die Teilnehmenden abhängig und unfair behandelt fühlen und die unfaire Handelspraktiken nicht mehr akzeptieren können oder wollen, werden diese Sachverhalte aus wettbewerbsrechtlichen Gründen als problematisch eingestuft und in der Auswertung genauer dargestellt und quantitativ erfasst.

Zum Selfcheck: https://administrator611728.typeform.com/to/GznnSfLm

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