Monatsbericht April

Was bedeutet Fairness in der Landwirtschaft? Faire Märkte Schweiz hat diese Frage in seinen strategischen Zielen verankert: «Wir engagieren uns für faire Märkte, in denen ein förderlicher Wettbewerb im Interesse aller Akteure sichergestellt ist». In verschiedenen anderen Zielen und Dokumenten sind wir genauer darauf eingegangen. Nun sollen sich die Bäuerinnen und Bauern zur Frage der Fairness im Bereich Vermarktung und Preisbildung mit dem neuen FMS-Selfcheck dazu äussern können. Im Fokusthema ordnen wir die ersten Antworten von Pilotgruppen ein, inwiefern sie wettbewerbsrechtlich relevant sein und welche Schlussfolgerungen Bäuerinnen und Bauern daraus ziehen können.
Fairness-Fragen hängen oft mit zu viel Marktmacht auf der Abnehmerseite zusammen. Deshalb ist mein Gastbeitrag in den Publikationen von Tamedia von letzter Woche auf breite Resonanz gestossen. Bei den Kurzmeldungen berichten wir über Themen aus dem Milchmarkt, unsere Aktivitäten im Schwerpunktprogramm «lokal+fair» sowie die geplante Anzeige bei der Weko. Und ein besonderer Meilenstein! Faire Märkte Schweiz geht erstmals international und unterstützt eine Solidaritätsinitiative in Deutschland. Ich wünsche eine interessante Lektüre und bedanke mich für das Interesse.


Im Fokus

Selfcheck zur Fairness in Vermarktung und Preisbildung

Das Ziel des Selfchecks ist, dass Bäuerinnen und Bauern ihre Situation zur «Fairness» in Vermarktung und Preisbildung selbst beurteilen können. Dazu hat FMS in Zusammenarbeit mit Wettbewerbsexperten einen Selfcheck entwickelt, mit dem nun erstmals die wettbewerbsrechtliche Relevanz von Aussagen eingeschätzt werden kann. In den Pilotgruppen war die Milchproduktion am meisten vertreten: 61.5%. Dies ein erstes Zeichen, in welchen Betriebszweigen der Schuh am meisten drückt, was jedoch noch nicht als repräsentativ eingestuft werden kann. Deshalb wird der Selfcheck heute nun allen Bäuerinnen und Bauern zugänglich gemacht, um zuverlässigere Ergebnisse zu erhalten (zur Mitteilung hier).


Alarmierend waren die Ergebnisse bezüglich der fairen Verteilung der Wertschöpfung: 81% der Befragten sind der Meinung, dass ihr Wertschöpfungsanteil zu klein ist, sie zu wenig vom Konsumentenfranken haben und andere Wertschöpfungsstufen übermässig abschöpfen. Zur Höhe der Preise und zu der aufwandgerechten Entschädigung gaben 76.9%  an, dass ihnen der Preis diktiert wird und dieser nicht kostendeckend ist. 65.4% kritisieren, dass sie den einseitigen Konditionen des Abnehmers schutzlos ausgeliefert sind (7.7% fühlen sich dem Abnehmer ebenfalls ausgeliefert, können aber damit leben).


Erstaunlich waren auch die Ergebnisse zu den Branchenorganisationen. Für fast 70%  der Antwortenden funktionieren die Branchenorganisationen nicht gut. Sie fühlen sich benachteiligt, weil darin die Produzierenden ihre Interessen selten durchsetzen können (nur für 19.2% funktionieren die Branchenorganisation gut und zufriedenstellend).Hinsichtlich möglichen Vergeltungsmassnahmen, Warenbereitstellung und Kommissionierung, kurzfristigen Stornierungen oder der korrekten Bezahlung betreffend Abmachung sind über 66% der Antwortenden grundsätzlich zufrieden.


Schlecht schneidet in der Erhebung der Wettbewerb ab und ob die Minimalbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb erfüllt sind. Für 46.2% sind diese nicht erfüllt, was die Preisbildung wesentlich beeinflusst.


Teilnehmende, die sich in wettbewerbsrechtlich relevanten Sachverhalten unfair behandelt fühlen, wird empfohlen, ihre Situation auf dem Hof genauer zu beobachten und allenfalls Hilfe zu holen, wie sie dies beispielsweise bei der Meldestelle von FMS tun können. Aus Gründen des Datenschutzes werden im Selfcheck keine persönlichen Daten aufgenommen.


Link zum Selfcheck: https://administrator611728.typeform.com/to/GznnSfLm

Kurzmeldungen

FMS gab Neuberechnung Preismonitor in Auftrag

Hohe Preise reduzieren die Konkurrenzfähigkeit der preissensiblen Nachhaltigkeitssortimente gegenüber Standardprodukten beträchtlich. Dies bestätigt die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) mit der Zweitauflage des Preismonitors von FMS. Die Medien haben über den Preismonitor berichtet und darüber, dass die Preisschere zwischen Bio- und konventionellen Produkten bei den beiden Grossverteilern Migros und Coop weit offen bleibt und sich bei einigen Produkten sogar noch vergrössert hat. Dagegen weisen die erstmals erhobenen Daten der Discounter deutlich geringere Preisdifferenzen aus. Auch hinsichtlich des Anteils vom Konsumentenfranken schneiden die Bioprodukte schlechter ab (zur Medieninformation hier, direkt zum Preismonitor hier).

Milchproduktion: Diskrepanz zwischen Theorie und Realität

Der Unmut in der Landwirtschaft ist gross, insbesondere in der Milchproduktion, was die ersten Ergebnisse des Selfchecks bestätigen (vgl. oben). Bei FMS haben sich mehrere Milchbauern gemeldet. FMS hat mit ihren Milchabrechnungen eine Auswertung gemacht und bestätigt, dass eine besonders grosse Diskrepanz zwischen einem kostendeckenden Milchpreis, dem offiziellen Richtpreis der Branchenorganisation Milch (BOM) und dem ausbezahlten Milchpreis für die Produzenten besteht. Unsere Medienmitteilung und der Artikel in der NZZ haben in Branchenkreisen etwas Wirbel ausgelöst.
Wiesenmilch: Antwortschreiben der EmmiWir haben im März-Newsletter darüber berichtet, dass nachhaltige Milchproduzenten benachteiligt werden, indem der Produzentenpreis für die nachhaltige IP-Suisse Wiesenmilch unter dem Preis für konventionelle Milch liegt. FMS fordert von den Akteuren mit einem offenen Brief die Behebung dieses Missstandes. Emmi AG hat mit einem Antwortschreiben detailliert zu unseren Forderungen Stellung bezogen, auf das wir wiederum reagiert haben. Obwohl der Austausch noch nicht im Konsens verlaufen ist, konnten wir mit dieser Kampagne deutlich machen, dass Fairness nur mit mehr Transparenz erreicht werden kann.

Lokal+fair: Jetzt geht es los!

Wir berichteten im letzten Newsletter zudem über unsere Fairness-Bewegung in den Gemeinden. Mit dem nationalen Projekt «Lokal+fair» setzen wir uns dafür ein, dass ein möglichst hoher Anteil des Konsumentenfrankens aus lokaler Produktion bezogen wird und dass auf diese Weise lokale Landwirtschafts- und Verarbeitungsbetriebe fairer für ihre Produkte und Arbeit entschädigt werden. In den nächsten Wochen wird die diesjährige Kampagne lokal+fair auf der Homepage aufgeschalten. Sie gipfelt im Höhepunkt des nationalen Direktvermarktungstag lokal+fair im September 2024. Das Projekt wird mit ausgewählten Landwirtschaftsbetrieben, Gewerbetreibenden und Gemeinden durchgeführt.

FMS unterstützt Initiative faire Preise in der Lieferkette «inifair»

Die Bauernproteste haben in Deutschland andere Dimensionen erreicht als in der Schweiz. Dennoch stehen wir im Bereich der Fairness vor ähnlichen Herausforderungen: Marktungleichgewichte sorgen für Preisdruck bei den Produzenten; immer mehr vom Konsumentenfranken fliesst an Verarbeitung und Handel ab; ungenügende Mechanismen für langfristig stabile und kostendeckende Erzeugerpreise; enorme Auswirkungen auf Umwelt- und Tierschutz. Die deutsche Initiative für faire Preise in der Lieferkette bekämpft dies mit konkreten Forderungen an die Politik. Sie wird getragen von Organisationen der bäuerlichen Landwirtschaft, des Fairen Handels und weiteren. Mit diesem Engagement will FMS gezielt Synergien nutzen und diese für fairere Märkte in der Schweiz einsetzen.

Ankündigung: Sektoruntersuchung bei der Weko

Die Recherchen von FMS haben bestätigt, dass es angezeigt ist, die auf dem Markt für Getreide, insbesondere für Backmehl, vorhandenen Systemfehler bzw. Wettbewerbsverzerrungen mittels einer Sektoruntersuchung kartellrechtlich abzuklären. Dieser Schritt findet demnächst statt.

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Weitere Beiträge

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Coop will mit der neuen Linie «Bio 365» günstige importierte Produkte mit tieferen Qualitätsstandards als die Knospe von Biosuisse einführen. Das soll u.a. wegen der Preisvergleiche von Preisüberwacher und Faire Märkte Schweiz (FMS) erfolgt sein. Zum einen weist FMS das vehement zurück. Als Transparenz- und Kompetenzorganisation hat FMS vielmehr vor Kurzem mit dem Preismonitor nicht nur die zu hohen Endverkaufspreise, sondern v.a. die verzerrten Preisrelationen und unfairen Anteile für die Biobauern thematisiert. Zum anderen kritisiert FMS die Preispolitik der marktmächtigen Grossverteiler, bei einer kleineren Anzahl von zahlungskräftigeren Kunden höhere Preise durchzudrücken, gleichzeitig die Produzentenpreise unter Druck zu setzen und damit die Nachhaltigkeitsbewegung zu blockieren. Indem nun auf importiertes Bio ausgewichen wird, ist Fairness-Prinzip mehrfach verletzt.

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