FMS-Systemanalyse: Wettbewerbsverzerrungen und mangelhafte Transparenz im Markt für landwirtschaftliche Vorleistungen – am Beispiel von Dünger und Pflanzenschutzmitteln
Zusammenfassung
Der Schweizer Bauernverband forderte zur Reduzierung des landwirschafltichen Defizits eine Erhöhung der Produzentenpreise am Markt um 5-10%, was jedoch bisher nicht in dem Umfang realisierbar war. Faire Märkte Schweiz legt den Fokus daher nun verstärkt auf die vorgelagerten Stufen der Landwirtschaft und die dort entstehenden Vorleistungskosten. Die Herausforderungen für Landwirtinnen und Landwirte sind hier aufgrund hoher Kosten besonder gross und die Branche ist von Marktassymetrien und unerwünschten Rentenbildungen geprägt, wie diverse Untersuchungen zeigen. Insbesondere bei Dünge- und Pflanzenschutzmitteln bestehen im internationalen Vergleich deutliche Preisunterschiede von durchschnittlich 27-68% gegenüber benachbarten Ländern. Diverse Faktoren und Gegebenheiten im Schweizer Markt führen zu einer grossen Marktmacht auf Seiten Einzelhändler, was die Vertriebspreise steigen lässt. Auch innerhalb der Schweiz bestehen starke regionale Preisunterschiede und wenig Transparenz. Der Preisindex für landwirtschaftliche Produktionsmittel zeigt zudem seit über 20 Jahren eine deutliche Aufwärtstendenz.
Die Systemanalyse zeigt auf, dass durch erhöhte Transparenz und den Abbau von Marktverzerrungen in den Bereichen Dünger und Pflanzenschutzmitteln ein erhebliches Kosteneinsparpotenzial für die Schweizer Landwirtschaft geschaffen werden könnte. Produktionsmittel unterstehen wie landwirtschaftliche Erzeugnisse ebenfalls der Verordnung über die Marktbeobachtung im Landwirtschaftsbereich. Heute werden jedoch zu wenig Daten zu den Vorleistungen erfasst, um genügend Transparenz zu schaffen. Daher plant Faire Märkte Schweiz zusammen mit einem Forschungspartner die Entwicklung einer Transparenz-Plattform, die gesamtschweizerisch Daten zu effektiv realisierten Preisen für Dünge- und Pflanzenschutzmittel erfasst und regelmässig auswertet. Die gesteigerte Transparenz im Produktionsmittelmarkt soll Einsparpotenziale für Landwirtinnen und Landwirte aufzeigen und so die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft stärken. Würde man die Preisdifferenz gegenüber den benachbarten Ländern um 20% reduzieren, würden die Produzentinnen und Produzenten schätzungsweise von rund 20 Mio. CHF tieferen Vorleistungspreisen profitieren.
Ausgangslage
Ausgehend von den Protesten in der Landwirtschaft Anfang 2024 forderte der Schweizer Bauernverband unter anderem die Erhöhung der Produzentenpreise um 5-10%, um das aktuelle gesamtlandwirtschaftliche Defizit von 200-300 Millionen CHF abzufangen. Die Entwicklungen in den vergangenen Monaten haben gezeigt, dass die geforderten Erhöhungen der Produzentenpreise in diesem Umfang nicht realisiert und die entsprechenden Einkommensverbesserungen nicht erzielt werden können.
Faire Märkte Schweiz will den Fokus vermehrt auf die der Landwirtschaft vorgelagerten Stufen und die landwirtschaftlichen Vorleistungen legen. Die dortigen Herausforderungen für Landwirtinnen und Landwirte sind aufgrund des hohen Kostenumfeldes besonders gross. Ursache dafür sollen auch Marktassymetrien, Marktkonzentrationen und unerwünschte Rentenbildungen sein, wie dies im Einkommenbericht des Bundesamtes für Landwirtschaft festgehalten wird: “Die Landwirtschaft sieht sich sowohl beim Einkauf der Vorleistungen als auch beim Absatz ihrer Produkte einer konzentrierten Marktmacht gegenüber. Der Verhandlungsspielraum einzelner landwirtschaftlicher Betriebe bei der Preisgestaltung ist daher sowohl auf der vor- als auch auf der nachgelagerten Ebene gering.”
Landwirtschaftliche Produktionsmittel unterstehen wie landwirtschaftliche Erzeugnisse ebenfalls der Verordnung über die Marktbeobachtung im Landwirtschaftsbereich. Heute werden jedoch zu wenig Daten zu den Vorleistungen erfasst, um genügend Transparenz zu schaffen. Faire Märkte Schweiz will deshalb mehr Transparenz in die der Landwirtschaft vorgelagerten Branchen der Produktionsmittel bringen. Dies soll im Folgenden am Beispiel der beiden Märkte für Dünger und Pflanzenschutzmittel aufgezeigt werden. Später sollen andere Märkte wie Futtermittel oder Saatgut dazu kommen.
Aktueller Wissensstand
Diverse Studien zeigen, dass die Preise für landwirtschaftliche Vorleistungen in der Schweiz deutlich höher sind als in benachbarten EU-Ländern. Dies betrifft insbesondere die Märkte für Dünger und Pflanzenschutzmittel. Eine 2019 durchgeführte Untersuchung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hat diese Preisunterschiede zwischen der Schweiz und den Nachbarländern Frankreich, Deutschland und Italien analysiert, die Ursachen der Abweichungen identifiziert und den Einfluss der Vertriebsstrukturen auf die Preise in der Schweiz untersucht.
Im Bereich Dünger zeigt die Analyse von fünf gängigen Düngemittelarten eine durchschnittliche Preisabweichung von 27 % gegenüber dem Ausland (siehe Abb. 1). Ein wesentlicher Grund hierfür sind die hohen Markteintrittsbarrieren für ausländische Anbieter, die zu einer hohen Konzentration im Einzelhandel führen. Dies reduziert den Konkurrenzdruck auf die etablierten Händler, was wiederum dazu führt, dass weniger Anreize bestehen, Ineffizienzen im Vertrieb zu beseitigen. 4
Um die Pestizidpreise zu analysieren, wurden in der Studie 50 häufig eingesetzte Markenprodukte miteinander verglichen. Die Preisaufschläge betragen dort aufgeteilt nach Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden 63-68% (siehe Abb. 2). Zu den ermittelten Schlüsselfaktoren, die Erklärungen für die Preisunterschiede liefern, gehören die Auflagen bei den Direktzahlungen aufgrund derer die Landwirte Beratungsdienstleistungen in Anspruch nehmen, welche im Einzelhandelspreis enthalten sind. Um die Auflagen zu erfüllen, werden tendenziell teurere Markenprodukte gegenüber Generika bevorzugt. Zudem stellt das fragmentierte Vertriebsnetz im Schweizer Kontext ein wesentliches Handelshemmnis dar. Wie bei den Düngern führt das Zusammenwirken dieser Faktoren zu einer grossen Marktmacht auf Seiten Einzelhändler, was die Vertriebspreise weiter steigern lässt.
Eine ältere Studie aus 2005 zeigte wiederum, dass die erheblichen Preisunterschiede bei Produktionsmitteln nicht nur auf internationaler Ebene bestehen, sondern auch innerhalb der Schweiz grosse regionale Unterschiede insbesondere bei Düngemitteln vorzufinden sind. Regionen mit intensiver Pflanzenproduktion wiesen teurere Düngerpreise auf als Regionen, in denen Viehhaltung die vorherrschende Produktionsform ist. Dies weist gemäss Raaflaub und Genoni (2005) auf eine unterschiedliche Wettbewerbsintensität und wenig Transparenz im Düngermarkt hin. Die Studie bietet jedoch keine Hinweise darauf, auf welcher Handelsstufe (Import, Grosshandel, Detailhandel) die höheren Preise verursacht werden.
Betrachtet man die Entwicklung des Preisindexes für landwirtschaftliche Produktionsmittel, zeigt dieser seit über 20 Jahren einen Aufwärtstrend – seit dem Jahr 2000 blieb der Preisindex stets über der 100% Marke (siehe Abb. 3). Gemäss Agrarbericht 2023 verzeichnete dieser im Jahr 2022 eine erhebliche Steigerung und den höchsten Wert seit 20 Jahren. So lag er bei total 116,8 Prozent und damit 10,5 Indexpunkte höher als im vorangegangenen Jahr.
Auch der Produzentenpreisindex, der die Preisentwicklung von landwirtschafltich produzierten oder erbrachten Waren und Dienstleistungen abbildet, zeigt seit 2015 einen Aufwärtstrend und betrug 2022 103,2 Prozent. Der Anstieg verläuft jedoch deutlich langsamer als der Anstieg des Produktionsmittelindexes, was verdeutlicht, dass die steigenden Kosten für landwirtschaftliche Vorleistungen bei weitem nicht durch am Markt realisierte Produzentenpreise abgegolten werden.
Um die Preisentwicklungen spezifisch im Düngermarkt in den letzten acht Jahren zu untersuchen, hat Faire Märkte Schweiz einen Preisvergleich zu fünf Standardprodukten durchgeführt. Auf Grundlage der Betriebswirschaftlichen Datensammlung REFLEX der AGRIDEA wurden die gesammelten Monatspreise September (Mineralische Düngemittel Streckengeschäft) in Fr./dt. inkl. MwSt. im Zeitraum zwischen 2016 und 2024 verglichen (siehe Abb. 4). Die Daten zeigen einen Rückgang der Preise nach dem Höchststand im Jahr 2022. Sie sind aber aktuell durchschnittlich immer noch zwischen 20-34% höher verglichen mit den Preisen im Ausgangsjahr 2016.
Gesamtlandwirtschaftliche Relevanz
In der Schweizer Landwirtschaft entfallen üblicherweise 5 bis 10 Prozent der Betriebskosten auf Dünger und Pflanzenschutzmittel. In der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung von 2023 sind das hochgerechnet 228 Mio. CHF für Dünger sowie 90 Mio. CHF für Pflanzenschutzmittel. Auch wenn andere Produktionsmittel sich noch stärker zu Buche schlagen, zeigt sich ein grosses Potential für Kosteneinsparungen. Würde man die Preisdifferenz gegenüber den benachbarten Ländern um 20% reduzieren, würden die Produzentinnen und Produzenten schätzungsweise von rund 20 Mio. CHF tieferen Vorleistungspreisen profitieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wenig zuverlässige Daten zu realisierten Preisen im Markt für Dünger und Pflanzenschutzmittel vorhanden sind. Auch Raaflaub und Genoni (2005) stellen sich die Frage, ob die Erhebung von Produktionsmittel-Listenpreisen (gemäss AGRIDEA) zur Schaffung von Transparenz und als Basis für weitere Analysen ausreichend ist, oder ob sich nicht die Erhebung und Veröffentlichung von im Markt effektiv erzielten Preisen (analog Landwirtschaftskammern in Deutschland) aufdrängt. Sie empfehlen deshalb die Publikation von Marktberichten basierend auf Preismeldungen von effektiv getätigten Düngemittelkäufen. Eine solche Datenerhebung könnte wertvolle Aufschlüsse über Preisunterschiede und -entwicklungen sowohl innerhalb der Schweiz wie auch im internationalen Vergleich geben.
Ziel: Transparenz-Plattform landwirtschaftliche Vorleistungen
Die Systemanalyse zeigt auf, dass durch erhöhte Transparenz und den Abbau von Marktverzerrungen in den Bereichen Dünger und Pflanzenschutzmitteln ein erhebliches Kosteneinsparpotenzial für die Schweizer Landwirtschaft geschaffen werden könnte. Daher plant Faire Märkte Schweiz zusammen mit einem Forschungspartner die Entwicklung einer Transparenz-Plattform. Mithilfe einer einfachen Eingabemaske sollen teilnehmende Landwirtinnen und Landwirte aus der gesamten Schweiz die Kosten für getätigte Käufe ausgewählter Standardprodukte im Bereich Dünger und Pflanzenschutzmittel anonymisiert eintragen können. Die Plattform soll öffentlich zugänglich sein und die eingetragenen Preise in regelmässigen Abständen wissenschaftlich ausgewertet und zur Ableitung von Handlungsempfehlungen weiterverwendet werden können. In einer zweiten Phase sollen andere Vorleistungen dazu kommen wie beispielsweise Futtermittel oder Saatgut.