Alarmierende Abhängigkeit
Landwirtschaft am Limit: Zwei Drittel können nicht kostendeckend produzieren
Landwirtschaftliche Betriebe in der Schweiz geraten weiter unter zunehmenden wirtschaftlichen Druck durch unfaire Handelspraktiken. Eine aktuelle Auswertung des Fairness-Self-Checks offenbart gravierende Machtungleichgewichte und mangelnde Transparenz auf allen Marktstufen. Mehr als die Hälfte aller Produzenten sind stark von wenigen Abnehmern abhängig, zwei Drittel erhalten für ihre Produkte keine kostendeckenden Preise.
Die über mehrere Monate durchgeführte Umfrage zeigt: Mehr als die Hälfte der 144 befragten Betriebe bezeichnen sich als abhängig von ein oder wenigen Abnehmern; in der Romandie sind es gar 70 %. Fast zwei Drittel erleben, dass Liefervereinbarungen nicht auf Augenhöhe abgeschlossen werden – Preise, Mengen und Qualitätsanforderungen werden von den Abnehmern einseitig vorgegeben. Das ist wettbewerbsrechtlich höchst problematisch und bedeutet in vielen Fällen ein Verstoss der relativen Marktmacht. Alarmierend ist, dass fast die Hälfte der Landwirte bereits einseitige Vertragsänderungen durch Abnehmer erlebt haben, was auf einen signifikanten Machtmissbrauch hindeutet.
Preise weit unter Kostendeckung
Zwei Drittel der Betriebe geben an, für zentrale Produktgruppen keine kostendeckenden Preise zu erzielen. Die Hälfte der Befragten gibt an, die Preise müssten mindestens 10 % steigen, um wirtschaftlich überleben zu können. Zudem sehen sich rund 70 % mit Produktionsrisiken allein gelassen: Schwankungen durch Wetter, Krankheiten oder Ernteausfälle sind kaum oder nicht im Preis abgedeckt.
Für Preisverhandlungen haben 45 % keinen Zugang zu allen relevanten Marktdaten wie der effektiv existierenden Nachfrage und Preiserwartungen. Das führt dazu, dass die einzelnen Produzenten gegeneinander ausgespielt werden können. Auch geben über 60% der Befragten an, ihren Wertschöpfungsanteil am Konsumentenfranken nicht zu kennen – in der Romandie sind es sogar 80%. Auch auf den Märkten für Produktionsmittel (Dünger, Futtermittel, Pflanzenschutz) prangern die Landwirte mangelnde Transparenz, wenig Wettbewerb, zu hohe Preise und Preisverzerrungen an, denen sie als kleine Abnehmer gegenüber den wenigen internationalen Multis und marktmächten Anbietern zunehmend ausgeliefert sind.
Unterstützung fehlt – Vertrauen in Beschwerdestellen gering
Nur ein gutes Drittel der Betriebe kennen und nutzen bestehende unabhängige Beschwerdestellen bei Missbrauch von Marktmacht. Ein erheblicher Teil der Landwirte sieht keinen Zugang zu Unterstützung oder zweifelt an deren Wirksamkeit. Die Auswertung macht deutlich: Es braucht dringend mehr glaubwürdige Anlaufstellen, wo die Produzentinnen und Produzenten unfaire Handelspraktiken anonym deponieren und kompetent beraten werden, wie sie etwa die Meldestelle des Vereins FMS bietet.
«FMS erwartet von der Politik und den regulierenden Behörden, dass in der anstehenden Revision der Agrarpolitik die Ursachen der ungenügenden Wertschöpfung und zunehmenden Marktmacht-Problematik mit wirksamen Massnahmen angegangen werden”, hält der Verein fest. “In einigen Bereichen läuft die Entwicklung gerade in die falsche Richtung, indem die Lobby marktmächtiger Unternehmungen es etwa in der Sommersession im Nationalrat geschafft hat, in der Revision des Kartellgesetzes den Artikel zur „relativen Marktmacht“ zu verwässern und somit das wettbewerbsrechtliche Vorgehen gegen Missbräuche und für faire Marktbedingungen erschwert wird.»
Details zur Umfrage Der Fairness-Self-Check wurde von der Transparenz- und Fairnessorganisation Faire Märkte Schweiz (FMS) in Zusammenarbeit mit Wettbewerbsexperten entwickelt mit dem Ziel, dass Bäuerinnen und Bauern ihre Situation bezüglich Fairness in ihren Beschaffungs- und Absatzmärkten beurteilen können. Dies einerseits als Selbsteinschätzung für Einzelbetriebe. Vor allem aber führt Faire Märkte Schweiz Befragungen durch im Auftrag von Produzentenorganisationen, um die wettbewerbsrechtliche Relevanz der Situation abschätzen zu können und rechtliche Vorabklärungen treffen zu können. Die Fragen zielen deshalb genau auf die Themen Marktmachtmissbrauch und unfaire Handelspraktiken ab. An der vorliegenden Studie haben 144 Bauernbetriebe mitgewirkt. Die Mehrheit (71 %) gibt an, Tierhaltung (Mast oder Zucht) als einen der Hauptbetriebszweige zu betreiben, 63 % betreiben Milchwirtschaft und 54 % Futterbau. |