Mühlen-Kartell im Tessin?
Im Tessin hat sich unter dem Deckmantel einer ‘Partnerschaft’ ein Mühlen-Kartell gebildet. Zwei unabhängige Unternehmen teilen sich den Kanton auf, es gibt praktisch keine marktbelebende Konkurrenz mehr. Der Verein Faire Märkte Schweiz FMS beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Eine Beschwerde bei der Wettbewerbskommission muss geprüft werden.
In der publizierten «Partnerschaft» zwischen den vormals konkurrierenden Getreide-Mühlen Groupe Minoteries SA (GMSA) und Mulino Maroggia SA haben sich die beiden Unternehmen das Tessin aufgeteilt (1): Die GMSA beliefert Bellinzona, Leventina, Grigione Italiano, die Mulino Maroggia SA das Sottoceneri. Die Transparenz- und Fairnessorganisation Faire Märkte Schweiz FMS sieht darin ein de-facto-Kartell, das marktbestimmend wirkt, Wettbewerb verhindert und die Preise diktiert.
Nach dem Schulterschluss von GMSA (schweizweit grösste Mehllieferantin der gewerblichen Bäckereien) mit der letzten verbliebenen Mühle im Tessin – Mulino Maroggia – spitzt sich die Wettbewerbssituation in einem weiteren Kanton zu (auch im Kanton Wallis haben die Bäckereien kaum Ausweichmöglichkeiten). Neben den Bäckern sind auch die vielen kleinen Betriebe im Tessin betroffen, die hochwertiges Getreide anbauen. Sie sind auf regionale Mühlen angewiesen, um ihr Getreide zu verkaufen.
Fragliche «Partnerschaft» im Wettbewerb
FMS beurteilt zudem den Begriff «Partnerschaft» als problematisch, was insbesondere die angekündigte regionale Aufteilung der Vertriebsverantwortung betrifft. Diese explizite Gebietszuteilung ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht hoch problematisch – insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Kartellgesetzes (KG), welches horizontale Gebietsabsprachen grundsätzlich verbietet. Der Verein warnt davor, dass solche Partnerschaften den Wettbewerb verringern, die Preise für Konsumenten und Bauern verschlechtern und die regionale Versorgung schwächen können und fordert, dass die Regeln für fairen Wettbewerb eingehalten und Bäckereien sowie kleine Produzenten geschützt werden. Zusammengefasst ist das Vorgehen dieser marktmächtigen Mühle in allen Landesteilen ähnlich: Erst eliminiert GMSA den Wettbewerb und positioniert sich dann als Retter für die Regionen, in dem sie mit regionalen Schlüsselakteuren «Partnerschaften» eingeht.
Auch die Versorgung mit regionalen Lebensmitteln im Tessin könnte schlechter werden, wenn unabhängige Mühlen ihre Eigenständigkeit verlieren. Die darin angekündigte strategische «Partnerschaft» in den Bereichen Produktion, Logistik und Vertrieb – das sind die Kerntätigkeiten von Mühlen – betrifft nicht nur die Struktur des Schweizer Mühlenmarktes, sondern insbesondere auch die Versorgungssituation im Tessin, das auf eine dezentrale Lebensmittelversorgung angewiesen ist. «Die Behauptung, dass die Zentralisierung zu mehr Effizienz und Nachhaltigkeit führe, ist unglaubwürdig: Die Mühlen-Partnerschaft führt zu mehr Bürokratie und längeren Transportwegen», sagt FMS-Präsident Stefan Flückiger.
Wettbewerbsrechtlich problematisch – FMS prüft Anzeige
«Die Entwicklungen der Wettbewerbssituation in den Agrar- und Lebensmittelmärkten sind insgesamt prekär», so Stefan Flückiger (2). «Economiesuisse und verschiedene Wirtschaftsverbände wollen zur alten Kartellwirtschaft zurückkehren und besonders schädliche Preis-, Gebiets- und Mengenabreden teilweise wieder legalisieren. Gleichzeitig wird die Meldestelle von Faire Märkte Schweiz zur Zeit stark frequentiert mit Meldungen zu missbräuchlichem Verhalten marktmächtiger Unternehmungen oder Fällen von Marktversagen. Der Staat ist an dieser Entwicklung teilweise beteiligt, weil das heutige Anreizsystem das bisherige System begünstigt und er seine Rolle als Regulator gemäss Kartellgesetz zur Förderung des wirksamen Wettbewerbs jedenfalls kaum wahrnimmt.»
FMS wird die weiteren Entwicklungen beobachten und rechtliche Abklärungen der kartellrechtlichen Tragweite dieser Partnerschaft in die Wege leiten. Diese werden zeigen, ob eine Anzeige bei der Wettbewerbskommission (WEKO) notwendig ist.
Informations-Box
Hintergrund Die Auswirkungen auf den regionalen Getreidebau im Tessin sind besorgniserregend – Auswirkungen auf das regionale Gewerbe besorgniserregend: Wahrscheinlich wird das lokale Bäckergewerbe am meisten betroffen sein. Es ist offen, ob die beiden Unternehmungen weiterhin unabhängig beschaffen und wie weit der regionale Wettbewerb betroffen sein wird. Fakt ist, dass die letzte industriell tätige, lokal verwurzelte Mühle im Tession – die Mulino Maroggia – faktisch zur verlängerten Werkbank eines Marktführers wird (zusammen mit der grössten Mühle Swissmill besitzen diese beiden Mühlen einen Marktanteil in der Schweiz von zwei Dritteln). – Markt mit kurzen Lieferketten gefährdet: In verschiedenen Teilen des Kantons – insbesondere in der Magadinoebene, im Locarnese, in der Leventina sowie im Mendrisiotto – wird in kleinem, aber qualitativ hochwertigem Umfang Weizen, Roggen, Dinkel und Spezialmais (z. B. Rossa del Ticino, Farina Böna) angebaut. Der regionale Anbau ist auf die kurzen Wertschöpfungsketten angewiesen, die direkt mit lokalen Verarbeitern wie der Mulino Maroggia verknüpft sind. – Weniger Ausweichmöglichkeiten für Getreideproduzenten: Gerade Kleinbetriebe im Tessin, die unter oft erschwerten agronomischen Bedingungen produzieren, sind auf verlässliche regionale Abnahme- und Verarbeitungspartner angewiesen. Die angekündigte Kooperation mit GMSA birgt die Gefahr, dass künftig Produktionsmengen verlagert oder zentralisiert werden. Solche Entwicklungen würden die Existenz lokaler Produzenten gefährden, weil die Absatzmöglichkeiten abnehmen. Effizienz- und Nachhaltigkeitsversprechen halten nicht stand: Obwohl GMSA und Mulino Maroggia ihre Kooperation mit Effizienz- und Nachhaltigkeitsargumenten rechtfertigen, zeigt eine nähere Betrachtung ein gegenteiliges Bild: – Doppelstrukturen: Beide Unternehmen bleiben formal unabhängig, mit jeweils eigener Organisation. Anstatt Strukturen zu verschlanken, entsteht zusätzlicher Abstimmungsbedarf – sei es in der IT, der Kundenbetreuung oder der Produktionsplanung. – Koordinationsaufwand: Die gegenseitige Belieferung bei gewissen Mehlsorten und die regionale Aufgabenteilung machen laufende operative Abstimmungen erforderlich. Diese Schnittstellen erzeugen Transaktionskosten und Reibungsverluste, anstatt Abläufe zu vereinfachen. – Längere Transportketten: Entgegen der öffentlichen Darstellung dürfte die Partnerschaft nicht zu kürzeren Wegen führen, sondern tendenziell zu mehr innerkantonalem oder gar interkantonalem Verkehr, wenn etwa Spezialmehle von einem Unternehmen für das andere produziert und durch das Tessin transportiert werden. – Fazit: Die behauptete «Effizienzsteigerung» basiert auf Annahmen, die bei näherer Betrachtung nicht tragfähig sein dürften. Die Partnerschaft führt zu mehr Komplexität, nicht zu Vereinfachung – weder für die Unternehmen selbst noch für die betroffenen Kunden und Produzenten. |
(1) https://fairemaerkteschweiz.ch/wp-content/uploads/2025/06/Mulino_Maroggia_SA_DE.pdf
(2) https://fairemaerkteschweiz.ch/nationalrat-schwaecht-kartellrecht-verein-faire-maerkte-schweiz-warnt-vor-machtmissbrauch-und-preisdruck/; https://fairemaerkteschweiz.ch/coop-neues-rueckverguetungssystem-auf-kosten-der-bauern/