Bauernproteste schwappen in die Schweiz über: Staat soll Marktversagen angehen

Zürich/Lausanne, 8. Februar 2024Solidarität für die Schweizer Landwirtschaft: Das fordert die Organisation Faire Märkte Schweiz angesichts der in die Schweiz überschwappenden Bauernproteste. Die Erlös- und Einkommenprobleme in der Landwirtschaft sind zum grössten Teil marktgemacht. Die Ungleichgewichte entlang der Wertschöpfungskette sind derart angewachsen, was den Preisdruck auf die Produzentenpreise wesentlich bestimmt. Eine neue Umfrage zeigt die Unzufriedenheit bei den Bauern und Bäuerinnen: Zwei Drittel wollen die Situation nicht länger akzeptieren.

Die Bauernproteste aus Deutschland und Frankreich haben auch die Schweiz erreicht. Nicht nur in den Medien, sondern auch auf der Strasse, wie die Protestaktionen von Bauern in Basel und Genf zeigen. Sie fordern die ‘gerechte Entlöhnung für ihre Arbeit’. «Grossverteiler, wenn ihr euch nicht schämt, dann zeigt die Preise an, die den Bauern gezahlt werden», lautet eines der Plakate. 

Wertschöpfungsverteilung, nicht Konsumentenpreise, müssen ins Visier

Bereits seit Juli vergangenen Jahres setzt sich die Organisation Faire Märkte Schweiz sowohl im Kontakt mit den beteiligten Akteuren wie politisch und öffentlich für die überfällige faire Vergütung an Produzentinnen und Produzenten ein. Dabei richtet sich FMS ganz gezielt an mögliche überhöhte Margen. «Die faire Entlöhnung ist über die Neuordnung der Wertschöpfungsverteilung zu erreichen und darf keineswegs auf dem Buckel der Produzenten ausgetragen werden», hält FMS-Präsident Stefan Flückiger hierzu fest. Solidarität zur Landwirtschaft sei dringend nötig.

Die Hauptforderung von FMS: Produzentinnen und Produzenten müssen fair und existenzsichernd bezahlt werden. «Das ist aktuell in der Schweiz schlicht nicht der Fall», so Flückiger. Um Bauern zu unterstützen, lancierte der im Mai gegründete Verein zeitgleich mit seinem Erscheinen in der Öffentlichkeit die genau für dieses Anliegen konzipierte Melde- und Beratungsstelle, eine Notrufnummer mit Webplattform für Bäuerinnen und Bauern, wo diese konkrete Hilfe bekommen.

Neueste Zahlen zeigen Handlungsbedarf in der Schweiz

Eine Ende Januar vom FMS unter Bäuerinnen und Bauern durchgeführte Umfrage zeigte erschreckende Resultate: 70% der Teilnehmenden gaben an, dass die Agrarmärkte nicht gut funktionieren und dass sie sich oft benachteiligt fühlen. 76% wollen mehr Transparenz entlang der Wertschöpfungskette und bei den Preisen. Und gar 92% der Befragten finden, dass ihre Produkte nicht fair und kostendeckend entschädigt werden – akzeptieren wollen das nur 26.7%. 

Das bedeutet im Klartext: 65.3 Prozent oder zwei Drittel der Landwirt:innen sind 2024 nicht mehr bereit, die aktuelle Situation hinzunehmen. Auf die Schweiz kommt also wohl noch einiges mehr zu als die Proteste vom Wochenende. 

«Die heutigen Marktstrukturen tragen wesentlich zu den Einkommensproblemen bei, insbesondere für die Bäuerinnen und Bauern», erläutert FMS-Präsident Stefan Flückiger. Ein zentraler Grund für die schlechte Einkommenssituation in der Landwirtschaft besteht in den erheblichen Ungleichgewichten entlang der Wertschöpfungskette. Die zunehmende Marktmacht der Abnehmer hat eine einseitige Verhandlungsmacht und somit mehr Preisdruck bei den Produzenten zur Folge. «Der Anteil der Wertschöpfung der Landwirtschaft nimmt laufend ab und derjenige der nachgelagerten Stufen, insbesondere im Detailhandel, hingegen zu», so Flückiger. Die Bäuerinnen und Bauern können sich nicht an den höheren Ladenpreisen beteiligen; es liegt eine unfaire Wertschöpfungsverteilung vor.

Zusätzlich verschärft sich die SItuation bei angespannter Konsumentenstimmung, wie dies derzeit der Fall ist, weil dann in der Regel die Mehrwertsortimente zuerst abgebaut und somit den Produzenten die Preiszuschläge oder Labelprämien fehlen, die sie für ihre getätigten Investitionen haben müssten.

Marktmacht führt zu Unfairness

FMS fordere daher «absolute Preistransparenz» bei Verarbeitung und Handel und eine faire Wertschöpfungsverteilung mit einer fairen Relation zwischen Produzenten- und Ladenpreis. Die marktmächtigen Grossverteiler haben ihre Verantwortung wahrzunehmen und  die Bäuerinnen und Bauern mit einem höheren Mindestanteil an den Ladenpreisen zu beteiligen. Sie sollen dies offenlegen. Da diese Entwicklungen marktgemacht sind, hat der Regulator (Staat) dafür zu sorgen und deutliche Impulse zu setzen, damit die unschöne Entwicklung mit den sinkenden Wertschöpfungsanteilen für die Produzenten und den schlechten Preisen in Zukunft in die umgekehrte Richtung läuft.

Folgen:

Weitere Beiträge

Crowdfunding Pudelwohl 2.0: Ein Bioladen geht neue Wege

‚Pudelwohl – Laden und Kafi‘ in Beringen will sich neu aufstellen: als Genossenschaft mit 24/7-Zugang für Mitglieder, fairen Löhnen für Mitarbeitende und kurzen Wegen zu regionalen Bio-Produkten. Mit dieser Neuausrichtung verfolgt das Projekt ein klares Ziel – nämlich die regionalen Klein- und Familienbetriebe zu stärken, die unsere regionale Lebensmittelversorgung sichern – durch faire Preise, direkte Beziehungen und eine solidarisch getragene Struktur.

Engagement gegen Marktmachtmissbrauch, Fairness-Labelvergleich und nationaler lokal+fair-Tag am 20. September: FMS-Monatsbericht Juni 2025

Im Juni hat Faire Märkte Schweiz den Fall aufgedeckt ‘Coop: Neues Rückvergütungssystem auf Kosten der Bauern’. Erste wettbewerbsrechtliche Abklärungen haben ergeben, dass damit Coop seine Marktmacht missbraucht. Fast zeitgleich hat der Nationalrat bei der Teilrevision des Kartellgesetzes das missbräuchliche Verhalten marktmächtiger Unternehmungen begünstigt. Wir berichten darüber, wie enorm der Handlungsbedarf für die Wettbewerbskommission in den Agrar- und Lebensmittelmärkten ist und wie durch unscheinbare Partnerschaften im Rahmen einer Marktbereinigung der Wettbewerb ausgeschaltet werden kann. Ausserdem berichten wir über unseren neuen Fairness-Labelvergleich. Mit dieser Analyse schafft FMS eine solide Grundlage, wie die Themen von Fairness und Transparenz in den Nachhaltigkeits-Labels sowie Herkunfts- und Qualitätsstandards abgebildet sind. Die Ergebnisse sind ernüchternd!

Mühlen-Kartell im Tessin?

Im Tessin hat sich unter dem Deckmantel einer ‘Partnerschaft’ ein Mühlen-Kartell gebildet. Zwei unabhängige Unternehmen teilen sich den Kanton auf, es gibt praktisch keine marktbelebende Konkurrenz mehr. Der Verein Faire Märkte Schweiz FMS beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Eine Beschwerde bei der Wettbewerbskommission muss geprüft werden.

Save The Date – Samstag, 20. September für den lokal + fair – Tag 2025!

Am Samstag, 20. September 2025 heisst es erneut: lokal + fair – Tag! In der Schweiz öffnen Betriebe ihre Türen, zeigen ihre Arbeit und laden dazu ein, Regionalität, Fairness und Nachhaltigkeit hautnah zu erleben. Ob auf dem Bauernhof, im Hofladen, am Marktstand oder im Restaurant – es ist ein Tag, der ganz im Zeichen nachhaltiger Produktion und bewussten Konsums steht.